Die Vor- und Nachteile von Friendshoring
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Veröffentlicht am 5. April 2024
Unter Branchenführern und politischen Entscheidungsträgern findet eine neue Strategie immer größeren Anklang, die erhebliche Auswirkungen auf globale Lieferketten und Dynamiken im Fertigungsbereich haben könnte: das Friendshoring. Professionelle Einkäufer im internationalen Handel sollten sich genau ansehen, was dahinter steckt.
Laut dem Weltwirtschaftsforum bedeutet Friendshoring, Lieferketten in Länder umzuleiten, die als politisch und wirtschaftlich sicher oder risikoarm gelten, um Unterbrechungen im Geschäftsbetrieb zu vermeiden.[1]
Ein Blick auf die Vor- und Nachteile von Friendshoring hilft uns, besser zu verstehen, was diese neue Entwicklung für Beschaffungsprofis bedeutet.
Strategische Vorteile im Einkauf
Friendshoring bietet professionellen Einkäufern eine Vielzahl von Möglichkeiten, die Sicherheit, Zuverlässigkeit und strategische Ausrichtung der Lieferkette zu verbessern. Im Folgenden zeigen wir, wie eine Beschaffungsstrategie von Friendshoring profitieren kann.
Mehr Sicherheit und Vertrauen
Friendshoring fördert das Vertrauen und die Zusammenarbeit zwischen Handelspartnern und mindert Risiken wie Diebstahl geistigen Eigentums, Spionage und geopolitische Spannungen. Die USA beispielsweise haben versucht, kritische Komponenten wie Halbleiter durch Partnerschaften mit Ländern wie Südkorea und Japan zu sichern.
Stabilität und Zuverlässigkeit
Durch weniger Abhängigkeiten von Ländern mit instabilen politischen Verhältnissen oder bei Gefahr von Handelsstreitigkeiten ermöglicht Friendshoring stabilere und zuverlässigere Lieferketten. Ein Beispiel dafür ist die Entscheidung der Europäischen Union, die Abhängigkeit von Russland bei der Energieversorgung zu verringern und mehr auf Norwegen und andere verbündete Länder zu setzen – ein bewusster Strategiewechsel mit Fokus auf politisch stabile und verlässliche Partner.
Stärkung von Allianzen
Friendshoring fördert nicht nur eine engere Zusammenarbeit und beiderseitiges Wirtschaftswachstum unter verbündeten Ländern, sondern unterstützt auch strategische Ziele wie die Verbesserung der technologischen Möglichkeiten. Der US-amerikanische CHIPS and Science Act, der darauf abzielt, die heimische Halbleiterproduktion wiederzubeleben, enthält Bestimmungen zur Stärkung der Zusammenarbeit mit verbündeten Ländern in der Forschung, Entwicklung und Sicherung der Lieferkette für Halbleiter.
Verbesserte Compliance und Einhaltung von Regulierungsstandards
Die Zusammenarbeit mit Ländern, in denen ähnliche regulatorische Standards gelten, kann die Einhaltung von Umwelt-, Arbeits- und Sicherheitsvorschriften vereinfachen. Der Wechsel zu Lieferanten aus Ländern mit strengen Umweltvorschriften, wie denen in der Europäischen Union oder Kanada, gewährleistet eine bessere Einhaltung von Umweltschutzauflagen, was in Elektronikfertigungsprozessen eine immer wichtigere Rolle spielt.
Resilienz gegenüber geopolitischen Risiken
Einer der wichtigsten Vorteile von Friendshoring ist die Minderung von Risiken im Zusammenhang mit geopolitischen Spannungen und Abhängigkeiten. Ein Musterbeispiel für diese Strategie ist Japans Bemühung, seine Lieferkette für seltene Erden zu diversifizieren. Historisch gesehen war Japan für diese kritischen Materialien stark von China abhängig. Um jedoch geopolitische Risiken zu reduzieren und eine stabilere Versorgung zu gewährleisten, hat Japan seine Importe von seltenen Erden aus Vietnam und Australien erhöht. Dieser Schritt unterstreicht die zentrale Bedeutung von Friendshoring für eine sichere und widerstandsfähige Lieferkette.
Schwierigkeiten und Hürden
Friendshoring bietet erhebliche Vorteile. Es bringt aber auch eine Reihe von Herausforderungen mit sich, die es zu bewältigen gilt. Um Friendshoring effektiv zu nutzen, ist es unerlässlich, sich auch die Schwierigkeiten bewusst zu machen.
Höhere Kosten
Der Bezug aus Ländern mit höheren Arbeitskosten, strengeren Umweltauflagen oder teureren Materialien kann die Beschaffungskosten erheblich erhöhen. Apples Überlegung, einen Teil der iPhone-Produktion von China nach Indien und Vietnam zu verlagern, zeigt, dass die Kosten aufgrund höherer Lohnniveaus steigen können, und die Einrichtung neuer Produktionsstätten womöglich anfängliche Investitionen erfordert.
Eingeschränkte Diversifikation
Bei der Beschaffung zu stark auf wenige Länder zu vertrauen, kann Schwachstellen schaffen. Die Abhängigkeit der USA von Taiwan für den Großteil ihres Halbleiterbedarfs ist ein gutes Beispiel für das Risiko von Störungen durch Naturkatastrophen oder geopolitische Spannungen.
Gefahr von Vergeltungsmaßnahmen und Handelskriegen
Friendshoring kann den Eindruck erwecken, dass bestimmte Länder von der Lieferkette ausgeschlossen werden, was möglicherweise zu wirtschaftlichen Vergeltungsmaßnahmen führt. Der Handelskrieg zwischen den USA und China, der erhöhte Zölle auf Waren im Wert von Milliarden Dollar mit sich bringt, macht die Gefahr einer Störung des globalen Handels und der Lieferketten deutlich.
Reduzierung der globalen Effizienz
Eine Friendshoring-Strategie kann die Effizienz globaler Lieferketten verringern. Ein Paradebeispiel dafür ist die Automobilindustrie, die während der globalen Chip-Knappheit Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Halbleitern hatte. Das Problem wurde durch Friendshoring-Bemühungen verschärft, die zwar darauf abzielen, Lieferketten zu sichern, aber manchmal effizientere, wenn auch politisch komplexere Beschaffungsoptionen vernachlässigen. An diesem Beispiel wird deutlich, wie wichtig es ist, ein Gleichgewicht zwischen der Sicherung von Lieferketten durch Friendshoring und der Aufrechterhaltung der globalen Effizienz durch eine diversifizierte Beschaffungsstrategie zu finden.
Die strategische Perspektive
Für Beschaffungsexperten muss die Entscheidung für eine Friendshoring-Strategie auf einer umfassenden Analyse ihrer Auswirkungen auf Sicherheit, Kosten, Lieferkettenresilienz und langfristige Ziele basieren. Friendshoring ermöglicht zwar sicherere und besser abgestimmte Beschaffungspraktiken, erfordert jedoch auch ein fundiertes Verständnis des globalen Handelsumfelds sowie die Bereitschaft, potenziell höhere Kosten und komplexere Lieferketten in Kauf zu nehmen.
Die Beschaffung im Elektronikbereich entwickelt sich aufgrund sich verändernder geopolitischer Landschaften und technologischer Fortschritte weiter. Angesichts dessen erweist sich Friendshoring als überzeugende Strategie für Beschaffungsprofis, die diese Herausforderungen effektiv meistern möchten. Durch sorgfältiges Abwägen der Vorteile – wie mehr Sicherheit und Vertrauen, Stabilität und Zuverlässigkeit sowie bessere Compliance und Einhaltung von Standards – gegenüber den höheren Kosten und dem Bedarf an Diversifizierung können Beschaffungsprofis fundierte Entscheidungen treffen, die mit ihren Unternehmenszielen und den breiteren Dynamiken der globalen Elektronikindustrie im Einklang stehen. Auf diese Weise unterstützen sie nicht nur die Widerstandsfähigkeit und den Erfolg ihrer Lieferketten, sondern fördern auch strategische Partnerschaften und Kooperationen, die die Zukunft des internationalen Handels und der Fertigung prägen.
Stefan Ellerbeck, „What’s the Difference between ‚friendshoring‘ and Other Global Trade Buzzwords?“, World Economic Forum, 17. Februar 2023. https://www.weforum.org/agenda/2023/02/friendshoring-global-trade-buzzwords/.